Tatra Tortour

Ein Wintertrail auf alten Postkutschenreisewegen bis in die hohe Tatra

Januar, es schneit – Chaos am Salzburger Bahnhof. 250 Menschen laufen aufgeregt umher. Bahnbedienstete sind überfordert, denn die Autoreisezüge nach Hamburg, Berlin und Düsseldorf können nicht weiter abgefertigt werden. Eine Frau wurde auf den falschen Autoreisezug eingewiesen. Als der Fehler bemerkt wurde, weigerte sich aber der dahintereingewiesene Fahrer sein Auto rückwärts vom Zug zu fahren. Nichts geht mehr! Die Aufregung wird immer größer und das Chaos ist perfekt. Der angesprochene Fahrer hat sich mittlerweile in sein Abteil eingeschlossen. Ratlosigkeit, Rangierloks werden angefordert und ich habe Zeit über unsere vergangene Reise nachzudenken…

Ich konnte die Kopie einer alten Postkutschenstreckenkarte von 1764 ausfindig machen. Unsere Idee – Reisen wie die Menschen vor zwei Jahrhunderten! Die ehemaligen Postkutschenrouten müssen ja noch vorhanden sein, wir wollen die hohe Tatra erreichen. Der zweite Ansporn für unsere Reise war die Schwiegermutter von Rainer. Sie wurde als junges Mädchen, während des zweiten Weltkriegs, mitsamt Ihrer Familie aus dem Elternhaus getrieben und per Viehwaggon aus ihrer Heimatstadt Frankenstein in den Westen deportiert. Übrig blieben ihr nur ein paar alte Fotografien, die uns jetzt halfen das Elternhaus im heutigen Polen wiederzufinden.Der perfekte Ausgangspunkt für diese Zeitreise ist das alte Schloss Augustusburg bei Chemnitz.

Hier findet das älteste Wintertreffen der ehemaligen DDR statt. Jeden Januar ist die Burg fest in Winterfahrerhand. Unzählige Motorradfahrer und tausende Besucher versammelten sich rund um die Burg. Die Fahrzeuge und Ihre Fahrer sind eine Augenweide. Zeltlager werden errichtet und im alten Steinbruch befindet sich der ungewöhnliche Teilemarkt. Nach diesem Wochenende voller Benzingespräche, führt uns der Weg in Richtung Dresden bis zur polnischen Grenze. Bei Bautzen erspähen wir die erste Postsäule, für uns der Hinweis, das wir uns auf dem richtigen Weg in den Osten befinden. Über verwunschene, unwegsame Landstraßen erreichen wir das erste Etappenziel, Frankenstein, dem heutigen Zabkowice Slasky. Das erste und einzige Hotel am Platze, beschert uns eine zusätzliche Zeitreise zurück in die sozialistische Ostblockzeit. Eine älteres Großmütterchen sitzt gewissenhaft, vor dem heruntergekommenen Ballsaal, der nun als Speisesaal genutzt wird, und bewacht die leere Garderobe. Das Mobiliar in dem Hotelzimmer war wohl schon seit 1963 defekt und die letzte Renovierung des Bades stammt aus den 70er Jahren. Nachdem wir etliche Male den alten Stadtkern von Frankenstein umrunden, finden wir endlich das Elternhaus der Schwiegermutter. Auch der alte traurige Bahnhof sieht noch so aus wie vor 60 Jahren und uns läuft ein Schauer über den Rücken, als wir an das Leid und die Tragödien von damals denken. In den letzten Kriegstagen wurden die ahnungslosen Familien, ohne Vorwarnung von den neuen Machthabern unter Waffengewalt aus ihren Häusern getrieben. Am Bahnhof hatte man die Familienmitglieder bewusst getrennt, gedemütigt und in Viehwaggons verladen, mit nur einem Ziel: Raus aus dem Land, ab in die Ungewissheit.

Über Luban, Rajcza, Glinka erreichen wir auf kleinen, verlassenen Straßen die Hohe Tatra in der Slowakei. Die Temperaturen fallen weit unter den Gefrierpunkt, die vereisten Straßen fordern höchste Konzentration. Aufgrund des Nebels kann man unmöglich mit geschlossenem Visier fahren und so brennt der einsetzende Eisregen fürchterlich in den Augen. Vereiste Wege und Schneeverwehungen bewältigen wir nur mit Hilfe der selbstgebauten Schneeketten. Ein kreisrunder Schlenker über das Wintersportgebiet Zakopane auf der polnischen Seite führt uns weiter ins idyllische Vratna Tal hinein in die Male Fatra.

Die Burg Orava bei Oravsky Podzamok ist ein passender Stop auf unserer Postkutschenreiseroute. Die alte Burg liegt am gleichnamigen Fluss, der seit Jahrhunderten von den Flößern genutzt worden ist, um das Holz abzutransportieren.
Deutschendorf jetzt Poprad, liegt ebenfalls an der alten Postkutschenlinie und beherbergt Straßenzüge aus dem 17ten Jahrhundert. Einige Häuser sind noch baufällig, aber viele werden restauriert und zu Pensionen oder Restaurants umgebaut.In der Nähe von Spisske Podhardie, in Richtung Ukraine, liegen die Überreste der Zipser-Burg aus dem 12ten Jahrhundert. Der strategische Standort lies die Burg seinerzeit zur viertgrößten Wehranlage in Europa wachsen.Im dichten Nebel eingehüllt, liegt der Berg vor uns und gibt nur schemenhaft die Burg frei. Nicht eine Menschenseele ist zu sehen. Kein Wunder, wer besucht schon diese Gegend mitten im Winter. Für uns die Gelegenheit mit den Motorrädern hoch bis zum eisernen Tor der alten Wehranlage zu fahren.

Der Regen und die Schneewolken ziehen wieder auf und so fliehen wir über Levoca ins Slowakische Paradies, der Niederen Tatra. Wir suchen die kleinen Straßen und bei Mlynky entdeckten wir ein Winterparadies. Schnee, Schotter und Straßen mit dickem Eisüberzug begleiten unseren Weg. Wilde Bäche schlängelten sich durch die Schneelandschaft und immer wieder versinkt der Wald im Nebel.Über Hype, Podbezova führt der Post-Trail in Richtung Banska Bystriac einer alten Bergbaustadt. Bis auf 1300 Meter schraubt sich die Passstraße herauf, bei Nizna Boca sind wir anschließend die Attraktion für die Wintersportler. Während sie Ihre Skier aufrecht in den Schnee stecken, lassen wir zum Parken der Motorräder die Hinterräder durchdrehen und fräsen so eine Parkmöglichkeit in  den Schnee.Im strömenden Regen erreichen wir erschöpft am Abend die Stadt Bojnice. Morgentlicher Sonnenschein – aber es ist kalt, das Märchenschloss in Bojnice zeigt sich von seiner besten Seite. Diese Burg wurde oft als Kulisse für die verschiedensten Märchenfilme genutzt. Kein Wunder, denn der Burgherr hatte sie im letzten Jahrhundert nach den Vorbildern aus Italien und Frankreich umfangreich restaurieren lassen. Die Burgführung war ihr Geld wert, neben den vielen Gemälden und Möbeln ließ der alte Burgherr auch eine Menge Skulpturen und Kuriositäten aufstellen und machte so das
Traumschloss perfekt.

Die XT schnurrt, die Bergsträßchen schlängeln sich unter den Motorrädern und das Wetter zeigt sich von seiner sonnigsten Winterseite. Immer wieder zeigen uns die alte Dörfer, Burgruinen, Herrenhäuser, dass wir uns auf der richtigen Spur befinden. So durchqueren wir die komplette Slowakei Richtung Österreich. Als die Sonne verschwunden war, wird es empfindlich kalt. Die Straße 61 führt uns wieder auf die Postkutschenroute. Hinter Senec wechseln wir die Straße nach Bratislava. Eine riesige Stadt an der Donau, dreimal durchfahren wir die gleichen Teilbezirke, ehe wir endlich den richtigen Weg nach Österreich finden. Ob das den Kutschern von damals auch passiert ist? Die Bundesstraße 1 führt über St.Pölden und mit Einbruch der Dunkelheit stoppten wir im Städtchen Prinzerdorf. Stielecht quartierten wir uns im alten Gasthaus „Zur Post“ ein. Aus dem 17ten Jahrhundert stammte dieses Haus. Im hinteren Saal feiert der örtliche Sportverein seinen Jahresabschluss und an der Theke fielen zu später Stunde einige der Stammgäste buchstäblich volltrunken vom Hocker. Die Motorräder werden am nächsten kalten, aber sonnigen Morgen gesattelt und in einer Tagesetappe erreichen wir unseren Zielbahnhof in Salzburg.

250 Menschen laufen aufgeregt herum, Bahnbedienstete sind überfordert und die Autoreisezüge nach Hamburg, Berlin und Düsseldorf können nicht abgefertigt werden. Belustigt nehmen wir die Verspätung hin.

Lange Zeit später rumpelt der Zug vom Bahnhof und wir sind stolz 2700 Kilometer auf den alten Postkutschenrouten bewältigt zu haben. Eigentlich war die Tatra ja gar keine Tortur!

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