fahren im Schnee
Fahrtechnik Schnee
Normalerweise passen die Elemente Schnee und Motorräder nicht zusammen, aber manchmal gibt es Reisen, da muss man durch diese weiße Pracht einfach hindurch.
Wir hatten Ötepäa in Estland erreicht. Die Motorräder stehen vereist im Hof und das Frühstück war wieder einmal unschlagbar köstlich und urgemütlich. Uns fällt es heute besonders schwer die alten Thermokombis wieder anzuziehen und in die Kälte zu stapfen.
Warum im Winter…. fragt in gebrochenem Deutsch ein älterer Mann. Er sitzt in seinem klapperigen Golf 1 während wir während wir die Motorräder bepacken.
Verdutzt schauen wir uns an, tja warum fahren wir eigentlich im Winter, schießt es uns durch den Kopf.
Im Winter Motorrad zu fahren, ist ein besonderes Erlebnis, keine Jahreszeit bringt die Natur so nah an den Motorradfahrer und irgendwie ist jede Ausfahrt ein kleines Abenteuer. Er schüttelt ungläubig, aber lächelnd den Kopf und wünscht uns weiterhin viel Glück.
Am Ortsende fahren wir an Wintersportler vorbei, in einer pantomimischen Einlage vollziehen sie mit Ihren Händen eine schlenkernde Lenkerbewegung und heben anschließend lachend den Daumen.
Die Frage warum im Winter beschäftigt mich immer wieder. Kann man Winterfahrer verstehen?
Nein, man muss es erleben.
Aber damit Schnee und Winterfahren Spaß macht, sollte man sich mit dem Thema intensiv beschäftigen.
Die richtige Ausrüstung ist das A und O. Man muss sich konzentrieren können und da dürfen kalte Finger und Füße nicht ablenken.
In den 50er Jahren war es vollkommen normal mit dem Motorrad in durch den Winter zu fahren. Wer kennt nicht die Geschichten der alten Eisbären, die auf jedem Elefantentreffen die Lagerfeuerromantik versüßen. Aus dieser Zeit stammt auch die Entwicklung der Lenkerstulpen. Lenkerstulpen halten den Fahrtwind, Schnee und Eisregen ab. In relativ kurzer Zeit sind diese montiert und reduzieren die Frostgefahr der Finger um ein Vielfaches. In Verbindung mit einer Griffheizung oder noch besser mit heizbaren Handschuhen vergisst man einfach das Thema abgefrorene Finger.
Vernünftige Schuhe sind ein weiteres Muss, um konzentriert zu bleiben.
Kanadische Boots wie Badger oder Sorel helfen ungemein. Allerdings schützen diese Schuhe nicht so gut vor Stürzen wie Motorradstiefel.
In Verbindung mit heizbaren Socken aus dem Motorradspezialbedarf oder aus dem Tauchersegment, lassen sich auch hier die wärmenden Strahlen aus dem Bordnetz abzweigen.
Der Thermokombi sollte nicht der billigste sein, auch hier bewährt sich Qualität. Atmungsaktive Anzüge sind immer schwieriger zu bekommen, da das Klientel der Winterharten nur eine Nebenrolle auf dem Bekleidungsmarkt spielt. Aber sie sind zu bekommen und in Verbindung mit guter Unterwäsche und dem Zwiebelprinzip wird es garantiert angenehm warm.
Der Markt bietet weiterhin heizbare Hosen, Westen, Sitzbezüge und vieles mehr an, aber hier schränkt die Leistung der Lichtmaschine und die Fülle des Geldbeutels die Anschaffung in Form der natürlichen Auslese ein.
Der Hals-Übergang ist eine der gemeinsten Wärmeverlustquellen, hier schützt in der Regel ein Halstuch, aber Windstopper-Halskrausen sind für kleines Geld zu haben. Um die Feuchtigkeit abzuhalten kann man auch versuchen einen gekürzten Neopren-Nierengurt um den Helmansatz legen. Je nach Helm hält der Neoprengurt ganz gut und erzielt einen zusätzlichen Schutz.
So bekleidet schwingt man sich auf sein Bike und ab geht es in den Schnee.
Aber Vorsicht, auch das Motorrad sollte auf vernünftigen Socken stehen.
Straßenreifen setzen sich sofort zu und entwickeln sich zu Schlittenkufen.
Enduro Reifen mit scharfen kantigen Stollen sind jetzt die richtige Wahl. Eine weiche Gummimischung sollte gewählt werden, sonst reiben Gummiblöcke hart wie Eiswürfel über den kalten Untergrund.
Reifen wie der Mefo, MT von Pirelli, Heidenau oder der TKC 80 haben sich bewährt. Der TKC 80 hat sogar die M+S Kennzeichnung und wird der neuen Winterreifenverordnung gerecht
Irgendwann wird es aber auch dem Stollenreifen zu viel und Schneeketten sind angesagt.
Der Handel bietet in den unterschiedlichsten Varianten Schneeketten für Solomotorräder an. Schneeketten von Wunderlich oder aus dem österreichischen Marktsegment werden gerne bevorzugt.
Auf jedem Winterfahrertreffen sieht man Motorradfahrer, die eine Wäscheleine um Ihre Räder gewickelt haben. Zum Anfahren an eine Steigung mag das ausreichen, aber
bei längeren Fahrten wird die raue Oberfläche der Asphaltstücke oder der Eisflächen diese Seile zerstören.
Einige nutzen Anfahrhilfe, Metal- oder Kunstoffkrallen, die mit einem Spanngurt fixiert werden.
Andere bauen sich Schneeketten auch selber. Wir haben für unsere Baltikumtour Schneeketten aus gehärteten Kettengliedern gebaut. 5-6 einzelne Ketten ca. 20 c. lang, werden mit Hilfe eines Karabinerhakens um die Felge gelegt. Anschließend führt man einen Spanngurt durch alle Ketten und zieht die Gurt zur Radnarbenmitte zusammen. So spannen sich alle Ketten gleichmäßig und die Traktion auf eisigem Untergrund ist gegeben. Voraussetzung ist natürlich der genügende Platz in der Schwinge.
Laut Straßenverkehrsordnung gibt es auch keine Vorschriften, die das Aufziehen von Schneeketten an Motorrädern verbieten, wie Sie dem nachstehenden Auszug aus dem § 37 der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) entnehmen können:
(2) Einrichtungen, die das sichere Fahren auf schneebedeckter oder
vereister Fahrbahn ermöglichen sollen (Schneeketten), müssen so beschaffen
und angebracht sein, dass sie die Fahrbahn nicht beschädigen
können. Schneeketten aus Metall dürfen nur bei elastischer Bereifung
(§ 36 Abs. 2 und 3) verwendet werden. Schneeketten müssen die Lauffläche
des Reifens so umspannen, dass bei jeder Stellung des Rades ein
Teil der Kette die ebene Fahrbahn berührt. Die die Fahrbahn berührenden
Teile der Ketten müssen kurze Glieder haben, deren Teilung
etwa das Drei- bis Vierfache der Drahtstärke betragen muß. Schneeketten
müssen sich leicht auflegen und abnehmen lassen und leicht nach gespannt werden können.
Wird das Winterwetter noch härter und man besucht die Eisrallyes im hohen Norden so sollte man sich Spikereifen aufziehen lassen.
Auch hier gibt es wieder für uns schneearme Deutsche wieder ungewöhnliche Alternativen.
Schraubbare Spikes. Vorteil man kann die Reifen unabhängig von einem Händler jederzeit mit Spikes bestücken.
Diese Spikes sehen aus wie grobe Spaxschrauben und werden mit Hilfe eines Akkuschraubers oder mit Muskelkraft einfach in die Stolle eingeschraubt. Funktioniert sehr gut.
Nach der Eisfahrt kann die Spikebestückung wieder herausgeschraubt werden und man setzt die Reise auf Asphaltstrassen fort. Natürlich kann man den Reifen nicht wieder und wieder bestücken, denn das Gummi leitet unter der Einschrauberei.
Spikes sind übrigens in Deutschland verboten, oben in Skandinavien aber erlaubt.
Das Fahren im Schnee erfordert eine große Portion Selbstüberwindung.
Grundsätzlich gilt, die Vorderradbremse ist tabu!
Das Vorderrad verliert beim Bremsen sofort den Grip und rutscht seitlich aus. Mit Schneeketten reduziert sich zwar diese Gefahr, aber nicht immer zieht man die Ketten sofort auf.
Also extrem vorausschauend fahren.
Die innere Ruhe und eine gleichmäßige Geschwindigkeit sind notwendig. Extreme Gasstöße lassen das Hinterrad ruckartig ausbrechen. Auch auf das sanfte Herunterschalten muss geachtet werden. Oft ist die Motorbremse einfach zu stark und das Hinterrad verliert den Gripp auf dem Schnee.
Weniger Luftdruck im Reifen erhöht auch im Schnee und Eis die Auflagefläche und sorgt für mehr Haftung.
Schneestraßen haben überwiegend die Eigenschaft, dass die Spurrillen der Autos einem das Leben schwer machen. Sind diese Spurrillen älter, dann sind meistens Ihre Ränder gefroren und hart. Wechselt Ihr die Fahrbahn, dann versucht die Spurrillen in einem großen Winkel anzufahren, so rutscht das Vorderrad nicht so schnell weg.
Fährt man hinter einem Fahrzeug her, so hat sich bewährt in der frischen Spur des Vordermannes zu fahren, so werden vereiste Teilstücke aufgeraut. Außerdem kann man die Reaktionen des Vordermanns erkennen und gegebenenfalls glatte Passage ausweichen.
Die Weisheit auf frischen Schnee fährt man besser, stimmt leider nur teilweise. Oft verbergen sich unter dem frischen Schnee alte Spurrillen oder Eisplatten, hier gilt nur Geschwindigkeit anpassen und die Reaktionen des Motorrades beachten. Man muss sein Motorrad spüren und erfühlen können.
Ruckartige Bewegungen führen garantiert zu Sturz, Gefühl und ein fester Lenkergriff ist angesagt.
Je nach Teilstück bewährt sich auch die Stehende-Fahrtechnik, so gleicht man Schwankungen aus und ist flexibler als in der sitzenden Variante.
Oft kann man das Motorrad aber nur mit gleitenden Füßen abfangen, denn das Vorderrad fährt meistens woanders hin als das Hinterrad möchte.
Mit einer gehörigen Portion Mut und der gemäßigten Geschwindigkeit meistert man aber diese Passagen.
Im hohen Norden haben die Polizisten Seitenskier an Ihren Motorrädern, diese haben wir aus alten Curving Skiern nachgebaut und waren von den Ergebnissen begeistert. Die Skier fangen jeden Schlenker ab und das Motorrad kann einfach nicht umkippen.
Man verliert jeglichen Respekt vor dem Winter, allerdings ist das Kurvenfahren ziemlich eingeschränkt.
Das vernünftigste im Winter ist auf jeden Fall, das man das Motorrad stehen lässt.
Aber sind wir Reisenden immer vernünftig?
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